GESCHICHTE DES ALTEN WOLFS, IN SIEBEN FABELN
GESCHICHTE DES ALTEN WOLFS, IN SIEBEN FABELN
in Bilder und Gedichte Wolfsromantick 18.10.2014 21:42von Karin Maurer • 234 Beiträge
GESCHICHTE DES ALTEN WOLFS, IN SIEBEN FABELN
Gotthold Ephraim Lessing
wolf3.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
(1) Der böse Wolf war zu Jahren gekommen und faßte den gleißenden Entschluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren. Schäfer, sprach er, du nennst mich den blutgierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger tut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden sein. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmütigste Tier, wenn ich satt bin. Wenn du satt bist? Das kann wohl sein, versetzte der Schäfer. Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz werden es nie. Geh deinen Weg!
(2) Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweiten Schäfer. Du weißt, Schäfer, war seine Anrede, daß ich dir das Jahr durch manches Schaf würgen könnte. Willst du mir überhaupt jedes Jahr sechs Schafe geben, so bin ich zufrieden. Du kannst alsdann sicher schlafen und die Hunde ohne Bedenken abschaffen. Sechs Schafe? sprach der Schäfer. Das ist ja eine ganze Herde! - Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fünfen begnügen, sagte der Wolf. Du scherzest; fünf Schafe! Mehr als fünf Schafe opfre ich kaum im ganzen Jahre dem Pan. Auch nicht viere? fragte der Wolf weiter; und der Schäfer schüttelte spöttisch den Kopf. Drei? - Zwei? - Nicht ein einziges, fiel endlich der Bescheid. Denn es wäre ja wohl töricht, wenn ich mich einem Feinde zinsbar mache, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit sichern kann.
(3) Aller guten Dinge sind drei, dachte der Wolf und kam zu einem dritten Schäfer. Es geht mir recht nahe, sprach er, daß ich unter euch Schäfern als das grausamste, gewissenloseste Tier verschrieen bin. Dir, Montan, will ich jetzt beweisen, wie unrecht man mir tut. Gib mir jährlich ein Schaf, so soll deine Herde in jenem Walde, den niemand unsicher macht als ich, frei und unbeschädigt weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Kleinigkeit! Könnte ich großmütiger, könnte ich uneigennütziger handeln? - Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn? O über nichts! Aber wie alt bist du, guter Freund? sprach der Schäfer. Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine liebsten Lämmer zu würgen. Erzürne dich nicht, alter Isegrim. Es tut mir leid, daß du mit deinem Vorschlage einige Jahre zu spät kömmst. Deine ausgebissenen Zähne verraten dich. Du spielst den Uneigennützigen, bloß um dich desto gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können.
(4) Der Wolf ward ärgerlich, faßte sich aber doch und ging auch zu dem vierten Schäfer. Diesem war eben sein treuer Hund gestorben, und der Wolf machte sich den Umstand zunutze. Schäfer, sprach er, ich habe mich mit meinen Brüdern in dem Walde veruneinigt, und so, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit ihnen aussöhnen werde. Du weißt, wieviel du von ihnen zu fürchten hast! Wenn du mich aber anstatt deines verstorbenen Hundes in Dienste nehmen willst, so stehe ich dir dafür, daß sie keines deiner Schafe auch nur scheel ansehen sollen. Du willst sie also, versetzte der Schäfer, gegen deine Brüder im Walde beschützen? - Was meine ich denn sonst? Freilich. Das wäre nicht übel! Aber wenn ich dich nun in meine Horden einnähme, sage mir doch, wer sollte alsdann meine armen Schafe gegen dich beschützen? Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Dieben außer dem Hause sicher zu sein, das halten wir Menschen -- Ich höre schon, sagte der Wolf, du fängst an zu moralisieren. Lebe wohl!
(5) Wäre ich nicht so alt! knirschte der Wolf. Aber ich muß mich leider in die Zeit schicken. Und so kam er zu dem fünften Schäfer. Kennst du mich, Schäfer? fragte der Wolf. Deinesgleichen wenigstens kenne ich, versetzte der Schäfer. Meinesgleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonderbarer Wolf, daß ich deiner und aller Schäfer Freundschaft wohl wert bin. Und wie sonderbar bist du denn? Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich ernähre mich bloß mit toten Schafen. Ist das nicht löblich? Erlaube mir also immer, daß ich mich dann und wann bei deiner Herde einfinden und nachfragen darf, ob dir nicht - Spare der Worte, sagte der Schäfer. Du müßtest gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal tote, wenn ich dein Feind nicht sein sollte. Ein Tier, das mir schon tote Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe für tot und gesunde für krank ansehen. Mache auf meine Freundschaft also keine Rechnung und geh!
(6) Ich muß nun schon mein Liebstes daran wenden, um zu meinem Zwecke zu gelangen, dachte der Wolf und kam zu dem sechsten Schäfer. Schäfer, wie gefällt dir mein Belz? fragte der Wolf. Dein Belz? sagte der Schäfer. Laß sehen! Er ist schön; die Hunde müssen dich nicht oft unter gehabt haben. Nun, so höre, Schäfer; ich bin alt und werde es so lange nicht mehr treiben. Füttere mich zu Tode, und ich vermache dir meinen Belz. Ei, sieh doch! sagte der Schäfer. Kömmst du auch hinter die Schliche der alten Geizhälse? Nein, nein; dein Belz würde mich am Ende siebenmal mehr kosten, als er wert wäre. Ist es dir aber Ernst, mir ein Geschenk zu machen, so gib mir ihn gleich jetzt. - Hiermit griff der Schäfer nach der Keule, und der Wolf floh.
(7) O die Unbarmherzigen! schrie der Wolf und geriet in die äußerste Wut. So will ich auch als ihr Feind sterben, ehe mich der Hunger tötet; denn sie wollen es nicht besser! Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer ein, riß ihre Kinder nieder und ward nicht ohne Mühe von den Schäfern erschlagen. Da sprach der Weiseste von ihnen: Wir taten doch wohl unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Äußerste brachten und ihm alle Mittel zur Besserung, so spät und erzwungen sie auch war, benahmen!
DER WOLF UND DER MENSCH
wswart48.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Der Fuchs erzählte einmal dem Wolf von der Stärke des Menschen, kein Tier könnte ihm widerstehen, und sie müßten List gebrauchen, um sich vor ihm zu erhalten. Da antwortete der Wolf: "Wenn ich nur einmal einen Menschen zu sehen bekäme, ich wollte doch auf ihn losgehen." - "Dazu kann ich dir helfen", sprach der Fuchs, "komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen zeigen." Der Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs brachte ihn hinaus auf den Weg, den der Jäger alle Tage ging. Zuerst kam ein alter abgedankter Soldat. "Ist das ein Mensch?" fragte der Wolf. "Nein", antwortete der Fuchs, "das ist einer gewesen." Danach kam ein kleiner Knabe, der zur Schule wollte. "Ist das ein Mensch?" - "Nein, das will erst einer werden." Endlich kam der Jäger, die Doppelflinte auf dem Rücken und den Hirschfänger an der Seite. Sprach der Fuchs zum Wolf: "Siehst du, dort kommt ein Mensch, auf den mußt du losgehen, ich aber will mich fort in meine Höhle machen." Der Wolf ging nun auf den Menschen los, der Jäger, als er ihn erblickte, sprach: "Es ist schade, daß ich keine Kugel geladen habe", legte an und schoß dem Wolf das Schrot ins Gesicht.
Der Wolf verzog das Gesicht ganz gewaltig, doch ließ er sich nicht schrecken und ging vorwärts, da gab ihm der Jäger eine zweite Ladung. Der Wolf verbiß den Schmerz und rückte dem Jäger zu Leibe; da zog dieser seinen blanken Hirschfänger und gab ihm links und rechts ein paar Hiebe, daß er, über und über blutend, mit Geheul zu dem Fuchs zurücklief: "Nun, Bruder Wolf", sprach der Fuchs, "wie bist du mit dem Menschen fertig geworden?" - "Ach", antwortete der Wolf, "so habe ich mir die Stärke des Menschen nicht vorgestellt: erst nahm er einen Stock von der Schulter und blies hinein, da flog mir etwas ins Gesicht, das hat mich ganz entsetzlich gekitzelt, danach pustete er noch einmal in den Stock, da flog mir's um die Nase wie der Blitz und Hagelwetter, und wie ich ganz nahe war, da zog er eine blanke Rippe aus dem Leib, damit hat er so auf mich losgeschlagen, daß ich beinahe tot liegengeblieben wäre. " - ".Siehst du", sprach der Fuchs, "was du für ein Prahlhans bist: du wirfst das Beil so weit, daß du's nicht wieder holen kannst."
VON EINEM WOLF
wswart48.jpg (26830 Byte)
Zu einem Wolf kam einst ein feister Hund. Der Wolf sprach zu ihm: "Guter Gesell, wie lebst du, daß du also feiste bist, wogegen ich so mager bin?" Der Hund antwortete: "Ich diene einem Menschen, der gibt mir genug zu essen." Der Wolf sprach: "So will ich mit dir gehn und will auch dienen." Als sie dann miteinander gingen, sah der Wolf des Hundes Hals an und sprach zu ihm: "Wie kommt es, daß dein Hals so beschabt und kein Haar daran ist?" Jener sprach: "Bei Tage legt man mich gefangen und bindet mir ein Halsband um den Hals, das macht mich also blutig, aber wenn es Nacht ist, so bin ich ledig und frei!" Da sprach der Wolf: "Ade, ade, lieber Gesell! Ich will lieber mager und frei als feist und gefangen sein!"

« Wir Wilden sind nur noch wenige. | Lernen vom Wolf kleine Geschichten mit erstaundlichen Erkentnissen ;) » |
![]() 0 Mitglieder und 3 Gäste sind Online |
![]()
Das Forum hat 245
Themen
und
428
Beiträge.
|








![]() | Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |